Markenlexikon
Louis Renault (1877 – 1944) sollte eigentlich die Textil- und Knopffabrik seines Vaters übernehmen. Doch bereits als 13-jähriger interessierte er sich mehr für Motoren und Automobile. 1898, als er 21 war, kaufte er sich einen dreirädrigen De Dion-Bouton und baute ihn in einem Schuppen in Boulogne-Billancourt bei Paris nach seinen Vorstellungen um. Der erste Renault (Voiturette Typ A) hatte eine Dreigangschaltung und den von Renault selbst entwickelten Kardanantrieb, anstatt der damals üblichen Kette. Schon während seiner ersten öffentlichen Probefahrt am 24. Dezember 1898 erhielt er zwölf Bestellungen für sein kleines, zweisitziges Gefährt, das eine Höchstgeschwindigkeit von 32 km/h erreichte. Im darauffolgenden Jahr gründete er gemeinsam mit seinen Brüdern Fernand (1865 – 1909) und Marcel (1872 – 1903) in Boulogne-Billancourt bei Paris die Firma Renault Fréres. Der Typ C von 1900 war der erste vierrädrige Renault. Von Anbeginn beteiligte sich das Unternehmen erfolgreich an Autorennen; 1902 gewann Marcel Renault das Rennen Paris – Wien. 1903 verunglückte er jedoch auf der Strecke Paris – Madrid tödlich. Daraufhin zog sich Renault zunächst vom Motorsport zurück. Im gleichen Jahr kam der erste Lastwagen von Renault auf den Markt, ein kleiner Lieferwagen, und 1907 begann die Firma auch Busse und Flugmotoren herzustellen.
Ab 1905 baute Renault die Pariser Taxis, was dazu führte, dass die Renault-Fahrzeuge fortan zum Pariser Stadtbild gehörten, wie die Yellow Cabs zu Chicago oder New York. Renault-Taxis wurden u.a. auch nach London, New York und Buenos Aires exportiert und avancierten weltweit zu einem Verkaufsschlager. Zu Beginn des 1. Weltkriegs war Renault nach Ford der zweitgrößte Autohersteller der Welt und 1930 auch der größte Flugmotorenhersteller der Welt. Daneben produzierte man inzwischen auch schwere Nutzfahrzeuge, Traktoren, Schienenfahrzeuge und Panzer. Das Oberklasse-Modell Renault 40 CV trug 1925 erstmals den Renault-Rhombus als Erkennungszeichen am Kühler. Im September 1944 wurde Louis Renault der Kollaboration mit den deutschen Besatzern angeklagt und inhaftiert; einen Monat später starb er im Gefängnis. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt. Anfang 1945 wandelte man das Unternehmen in einen Staatskonzern um.
1955 schloss Renault seine Lastwagensparte mit denen von Floirat, Latil und Somua (Société d'Outillage Mécanique et d'Usinage Artillerie) zur Société Anonyme des Véhicules Industriels et Equipments Mécaniques (SAVIEM) zusammen. Renault selbst baute fortan nur noch kleinere Transporter. Erst 1978 wurde SAVIEM wieder in Renault Véhicules Industriels (R.V.I.) umbenannt. Vier Jahre zuvor hatte SAVIEM von Citroën den Nutzfahrzeughersteller Berliet aus Vénissieux bei Lyon übernommen. Die Marken SAVIEM und Berliet gab Renault 1980 auf. 2001 verkaufte Renault seine Nutzfahrzeugsparte R.V.I. (seit 2002 Renault Trucks), zu der seit 1979 auch der US-Truck-Hersteller Mack Trucks gehörte, an den schwedischen Volvo-Konzern und erhielt dafür eine Beteligung an Volvo, die erst 2010 wieder an institutionelle Investoren abgegeben wurde. Die Traktorensparte Renault Agriculture übernahm 2003/2008 der deutsche Landmaschinenhersteller Claas.
1955 gründete Jean Redélé (1922 – 2007) in Dieppe die Société Automobiles Alpine, die Sport- und Rennwagen auf Renault-Basis fertigte. Der erste Alpine war ein modifizierter Renault 4CV. 1963 kam das Sportcoupé Alpine A-110 auf den Markt, das bis 1978 in Produktion blieb. Der A-110 war auch bei internationalen Rennveranstaltungen erfolgreich, sodass Renault seine Rennabteilung auf Alpine übertrug. 1973 wurde Alpine Rallye-Weltmeister und 1978 gewann die Firma mit dem Alpine A-442 die 24 Stunden von Le Mans. Seit 1971 gab es ein weiteres Modell, den Alpine A-310 mit einem Motor vom Renault 16. 1974 ging Alpine in den Besitz von Renault über. 1995 wurde die Produktion der Alpine-Sportwagen eingestellt. Erst 2017 brachte Renault einen neuen Alpine A110 auf den Markt, der sich stilistisch am Urmodell orientiert. Gebaut werden die Alpine-Sportwagen bis heute im Renault-Werk Dieppe.
Einer der großen Erfolge auf dem Pkw-Sektor war der französische »Volkswagen« Renault 4CV (1946 – 1961) sowie dessen Nachfolger Renault Dauphine (1956 – 1968), außerdem der billige und sparsame Renault 4 von 1962, der bis 1992 in Produktion blieb. Ebenso erfolgreich war zehn Jahre später auch der kleine Renault 5, der zum meistverkauften französischen Auto seiner Zeit avancierte. Den R5, der 1972 auf den Markt kam, löste erst 1990 der Clio ab, der bis heute produziert wird. Bei den größeren Fahrzeugen stach der technisch und stylistisch innovative Renault R16 (1965 – 1980) hervor; er war einer der ersten Limousinen mit einem Schrägheck. Für die Produktion des R16 wurde 1964 extra ein neues Werk in Sandouville errichtet.
Besonders sportlich ausgestattete Renault-Modelle wurden ab 1957 von der Tuningfirma Gordini entwickelt. Die von dem Automechaniker Amédée Gordini (1899 – 1979) gegründete Firma, die zuvor für Simca tätig gewesen war (Simca-Gordini) und in den 1940er und 1950er Jahren einige Monoposto-Rennwagen für die Formel-1 und Formel-2 gebaut hatte, tunte die Modelle Renault Dauphine Gordini (1958 – 1963; 1965 – 1968), Renault Caravelle Gordini (1960 – 1965), Renault 8 Gordini (1965 – 1970), Renault 12 Gordini (1971 – 1974) und Renault 17 Gordini (1974 – 1977). Ab 1969 gehörte die Firma Gordini ganz zu Renault; 1975 wurde sie in die Sportabteilung von Renault umgewandelt.
1968 errichtete Renault für den erst zwei Jahre zuvor gegründeten rumänischen Fahrzeugzulieferer Uzina de Autoturisme Pitești (UAP), der den Nutzfahrzeughersteller Întreprinderea de Autocamioane Brașov (Roman- und DAC-Lkw) mit Fahrzeugteilen belieferte, ein neues Produktionswerk in Colibaşi (heute Mioveni), wo anschließend die Mittelklassemodelle Renault 8 (1962 – 1973) und Renault 12 (1969 – 1980) in Lizenz unter dem Markennamen Dacia produziert wurden. Von 1968 bis 1969 lief in Colibaşi der R8 als Dacia 1100 vom Band und als der R12 schließlich im Oktober 1969 auf den Markt kam, begann zeitgleich die Produktion des Dacia 1300. Der robuste R12 war von Renault vor allem für den Einsatz auf den schlechten Straßen in Nordafrika entwickelt worden und wenn man einmal von der damals weit verbreiteten Rostanfälligkeit aller Autos absieht, war er auch für osteuropäische Straßen eine gute Wahl. Nach dem Auslaufen des Lizenzvertrages mit Renault wurden weiterhin R12-Abkömmlinge gebaut.
Zwischen 1978 und 1980 übernahm Renault über die Hälfte der Aktien der American Motors Corporation (AMC), zu der damals auch der Geländewagenhersteller Jeep gehörte, und ließ in deren Montagewerken mehrere eigene Modelle für den US-Markt fertigen, u.a. den Renault 5, den Renault 9 (Renault/AMC Alliance) und den Renault 11 (Renault/AMC Encore). Da Renault in den 1980er Jahren nicht nur in den USA sondern auch in Europa mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hatte, verkaufte man die AMC-Anteile 1987 an Chrysler.
1977 stieg Renault mit einem eigenen Team in die Formel-1-Weltmeisterschaft ein, ohne jedoch sonderlich erfolgreich zu sein. 1985 gab das Unternehmen diese Aktivitäten wieder auf, lieferte aber weiterhin Rennmotoren an verschiedene Rennställe (Lotus, Ligier, Tyrrell). Von 1992 bis 1997 konnten die Rennställe Williams und Benetton mit Renault-Motoren fünf WM-Titel einfahren. Im Frühjahr 2000 erwarb Renault den Benetton-Rennstall, der 2002 in Renault F1 Team umbenannt wurde und erneut zwei WM-Titel gewann (2005, 2006). Seit 2020 firmiert der Renault-Rennstall als Alpine F1 Team.
1983 wurde Renault mit der Großraumlimousine Espace, den allerdings die Automobilabteilung des Luft- und Raumfahrtkonzerns Matra (heute Airbus) entwickelt hatte und bis 1998 in seinem Werk Romorantin auch baute, zum Vorreiter der europäischen Van-Welle. Der Espace wird von Renault bis heute gebaut, inzwischen in der 6. Generation.
1990 wurde der Staatskonzern Renault in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Vier Jahre später begann die französische Regierung mit dem Verkauf ihrer Aktien an private Investoren. Der französische Staat ist jedoch auch 2023 noch mit rund 20 Prozent an der Renault S.A. beteiligt.
Zwischen 1999 und 2002 beteiligten sich Renault und der japanische Autokonzern Nissan gegenseitig an ihren Unternehmen. Renault erwarb Anteile an Nissan und Nissan an Renault. Das war der Beginn der Renault-Nissan-Alliance, die 2016 mit einer Beteiligung von Nissan an Mitsubishi Motors erweitert wurde (Renault-Nissan-Mitsubishi Alliance). Ebenfalls 1999 beteiligte sich Renault mit 51 Prozent an Dacia (2003 erwarb Renault auch die restlichen Anteile) und an der Automobilabteilung von Samsung (70 Prozent), was zur Gründung des neuen Unternehmens Renault Samsung Motors (RSM) führte. 2004 erwarb Renault das Moskwitsch-Werk in Moskau, wo bald darauf die Produktion mehrerer Dacia-Modelle begann. 2008 stieg Renault mit 25 Prozent beim russischen Autobauer AvtoVaz (Lada) ein, 2016 wurde daraus eine Mehrheit (68 Prozent). Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine wurde dieser Anteil 2022 jedoch wieder abgestoßen, ebenso das Moskauer Werk.
Wie schon in früheren Jahrzehnten ist Renault auch heute noch besonders erfolgreich mit Kleinwagen. Der Kleinstwagen Twingo, der 1993 auf den Markt kam, gehört zu den meistverkauften Großserienfahrzeugen der Welt. Ebenso erfolgreich ist der Clio, der 1990 den R5 ablöste. Bis Herbst 2019 wurden insgesamt 15 Millionen Exemplare produziert. Im Frühjahr 2020 war der Clio V erstmals das meistverkaufte Auto in Europa. Mit dem Hochdachkombi Kangoo (1997) etablierte Renault zusammen mit dem Citroën Berlingo (1996) eine neu Fahrzeugklasse. Seit 2013 gibt es den elektrisch angetrieben Kleinwagen ZOE, der auf der Plattform des Clio basiert. Er war 2019 und 2020 das meistverkaufte Elektroauto in Europa. In der Kompaktklasse ist Renault seit 1995 mit dem Mégane (Nachfolger des R19) vertreten.
Im November 2018 wurde Carlos Ghosn, CEO von Renault (2005 – 2019), Nissan (2001 – 2017; 2018 Verwaltungsrat) und der Renault-Nissan-Mitsubishi B.V. sowie Vorsitzender des Verwaltungsrats von Mitsubishi Motors (2016 – 2018), von den japanischen Behörden wegen Veruntreuung von Firmengeldern und anderer Vergehen festgenommen. Ghosn bestritt die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe. Im April 2019 wurde er gegen eine Kaution von rund 12 Millionen Euro aus der Untersuchungshaft entlassen. Ende Dezember 2019 floh Ghosn unter abenteuerlichen Umständen (angeblich in einer Instrumentenkiste versteckt) mit einem Privatflugzeug aus Japan in den Libanon (zwischen Japan und dem Libanon besteht kein Auslieferungsabkommen). Der gebürtige Brasilianer besitzt neben der brasilianischen und französischen Staatsbürgerschaft auch die libanesische.
Renault betreibt Werke in Argentinien (Córdoba), Brasilien (Curitiba), Frankreich (Batilly, Choisy, Cléon, Douai, Dieppe, Flins-sur-Seine, Sandouville), Indien (Chennai, Nashik), Kolumbien (Envigado), Marokko (Sidi Moumen/Casablanca, Tanger), Portugal (Cacia), Rumänien (Mioveni, Pitesti), Slowenien (Novo Mesto), Spanien (Palencia, Valladolid), Südkorea (Busan) und der Türkei (Bursa). Das Renault-Stammwerk in Boulogne-Billancourt wurde 1992 geschlossen.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain