Markenlexikon

Pullman

Ursprungsland: USA

Der frühere Kunsttischler und Bauunternehmer George Mortimer Pullman (1831 – 1897) gab 1858 seine damalige Tätigkeit als Goldmakler auf und begann gemeinsam mit Benjamin Field (1816 – 1876), einem ehemaligen Senator des Bundesstaates New York, einen Schlafwagen zu entwickeln, der sich von den damals üblichen wie der Tag von der Nacht unterschied. Die überbreiten sechzig Tonnen schweren und holzverzierten Luxuswaggons glichen eher fahrenden Hotels. Wegen der Übergröße mussten die Eisenbahngesellschaften sogar ihre Bahnsteige verbreitern. Die neuen Züge, die erstmals 1865 eingesetzt wurden und die ab 1880 aus Schlaf-, Speise und Salonwagen bestanden, avancierten zumindest bei den wohlhabenden Reisenden schnell zum belieben Beförderungsmittel, denn Autos oder Flugzeuge gab es noch nicht.

Die 1867 in Chicago gegründete Pullman Palace Car Company, an der auch mehrere Eisenbahngesellschaften und Geschäftsleute aus Chicago beteiligt waren, baute die Wagen jedoch nicht nur, sie bewirtschaftete sie auch. Die Eisenbahngesellschaften bekamen einen prozentualen Anteil der Fahrkartenpreise. Die ersten Pullman-Waggons wurden von der Detroit Car and Manufacturing Company gebaut (die Firma wurde 1870 von Pullman übernommen). Als sehr werbewirksam für die neuen Wagen erwies sich die Tatsache, dass der Leichnam des im April 1865 ermordeten US-Präsidenten Abraham Lincoln in einem Pullman-Schlafwagen von Washington/D.C. nach Springfield/Illinois, wo Lincoln von 1837 bis 1861 gelebt hatte, überführt wurde.

1874 brachte Pullman die ersten noch in Detroit gebauten Waggons nach Großbritannien, wo sie zunächst von der britischen Eisenbahngesellschaft Midland Railway eingesetzt wurden, kurz darauf auch von Great Northern Railway und London, Brighton and South Coast Railway. Spätere Waggons kamen aus Werken in Derby (Derby Carriage and Wagon Works), Birmingham (Metropolitan Cammell Carriage and Wagon Company, Birmingham Railway Carriage and Wagon Company), Brighton (London, Brighton and South Coast Railway) und einem Pullman-Werk in Süd-London (Longhedge Railway Works). 1882 entstand die British Pullman Car Company, die zwischen 1954 und 1963 von der staatlichen British Transport Commission (seit 1948 Eigentümer der britischen Eisenbahnen) übernommen wurde. Zeitweise hängte man britische Pullman-Wagen an den Orient-Express an. Ab 1884 verkehrten Pullman-Wagen auch in Mexiko auf der Strecke El Paso – Mexico City.

Die Orient-Express-Betreibergesellschaft Compagnie Internationale des Wagons-Lits gründete 1894 die Hotelgesellschaft Compagnie Internationale des Grands Hotels, die für die Passagiere des Orient-Express in mehreren europäischen Großstädten Luxushotels errichtete. Später bekamen die hochwertigsten Hotels dieses Unternehmens den Namen Pullmann Hotels.

Ab 1880 errichtete die Pullman Company am südlichen Stadtrand von Chicago die Arbeiterwohnstadt Pullman, in der zeitweise bis zu sechstausend Angestellte des Unternehmens wohnten. Die Häuser und Wohnungen waren für damalige Verhältnisse recht komfortabel ausgestattet, u.a. mit sanitären Einrichtungen und Gasanschluss. Daneben gab es Schulen, Geschäfte, Märkte, Bibliotheken, Kirchen und Friedhöfe, die alle der Pullman Company gehörten. Da das Leben der Angestellten somit rund um die Uhr von ihrem Arbeitgeber bestimmt wurde (in Pullman war z.B. Alkohol verboten), witzelten die Arbeiter damals: »We are born in a Pullman house, fed from the Pullman shops, taught in the Pullman school, catechized in the Pullman Church, and when we die we shall go to the Pullman Hell«.

Pullman
Pullman

Nachdem die Pullman Company infolge der Rezession von 1893 die Gehälter um 25 Prozent gesenkt hatte, die Mieten und Preise in der Stadt aber gleich blieben, traten die Pullman-Arbeiter im Juni 1894 in einen zweimonatigen Streik, der zu gewalttätigen Ausschreitungen führte und erst durch den Einsatz der Armee beendet werden konnte (13 Todesopfer, 57 Verletzte, 2000 zerstörte Waggons). 1898 entschied das Illinois Supreme Court, das oberste Gericht des Bundesstaates Illinois, dass die Pullman Company alle Immobilien in Pullman – mit Ausnahme der Produktionsanlagen – verkaufen musste; die Stadt wurde kurz darauf von Chicago eingemeindet.

Um die Jahrhundertwende war Pullman mit zehntausend Schlafwagen das größte und fast einzige Unternehmen dieser Art. Nach dem Tod des Gründers 1897 wurde Robert Todd Lincoln, der Sohn des Ex-US-Präsidenten Abraham Lincoln, Präsident der Pullman Company. 1927 entstand die Holdinggesellschaft Pullman, mit den beiden Tochterfirmen Pullman Car and Manufacturing Corporation (Waggonbau) und The Pullman Company (Betrieb, Bewirtschaftung). 1929 schloss sich die Pullman Car and Manufacturing Corporation mit einer weiteren Waggonbaufirma, der Standard Steel Car Company aus Butler/Pennsylvania, zur Pullman-Standard Car Manufacturing Company zusammen. Im Standard-Steel-Werk in Hammond/Indiana wurden während des Zweiten Weltkriegs der Kampfpanzer M4 General Sherman gebaut.

1947 musste sich das Unternehmen aufgrund eines drei Jahre zuvor erlassenenen Urteils des US-Justizministeriums von ihrer Schlafwagen-Betreibergesellschaft trennen; die Pullman Company wurde daraufhin an ein Konsortium, das aus über fünfzig US-Eisenbahngesellschaften bestand, verkauft. Die Eisenbahngesellschaften konnten die Pullman-Wagen nun selbst bewirtschaften oder sich andere Firmen suchen; 1969 wurde die Schlafwagen-Betreibergesellschaft ganz aufgelöst.

In den 1960er und 1970er Jahren beschäftigte sich das Unternehmen vor allem mit dem Bau von Personen- und Güterwaggons für US-Eisenbahngesellschaften sowie städtische U-Bahn-Betreiber. Daneben produzierte Pullman auch Straßenbahnen und Trolley-Busse (Oberleitungsbusse).

1980 wurde die Pullman-Holdinggesellschaft von dem Mischkonzern Wheelabrator-Frye übernommen. 1981 kam es zur Aufteilung in die drei Tochtergesellschaften Pullman Transportation Company (Produktion von Güterwaggons mit den Werken Butler/Pennsylvania und Bessemer/Alabama; wurde 1984 an den texanischen Mischkonzern Trinity Industries verkauft), Pullman Leasing Company (Güterwagenflotte; ab 1988 ITEL Leasing, seit 1992 GE Leasing) und Pullman Technology (Patente, Konstruktionspläne, Designs der Personenwaggons; wurde 1987 an Bombardier verkauft). Die restlichen Geschäftsfelder (u.a. Anhänger und Auflieger für Lastwagen, Fahrzeugteile, Anlagenbauer) wurden von dem kalifornischen Mischkonzern The Signal Companies (ab 1985 Allied-Signal), der Wheelabrator-Frye 1983 übernommen hatte, mit anderen Firmen zusammengeschlossen und später verkauft.

1991 erwarb der französische Hotelonzern Accor (All Seasons, Etap, Formule 1, Ibis, Mercure, Novotel, Sofitel, Suitehotel) die Compagnie Internationale des Wagons-Lits et du Tourisme (Altea Hotels, Arcade Hotels, Etap Hotels, Eurest, PLM-Hotels, Pullman Hotels, Relais Autoroute, Wagonlit Travel, Wagons-Lits). Nach der Übernahme wurden die Pullman-Hotels zunächst in Sofitel umbenannt. 2007 reaktivierte Accor den tradionsreichen Namen Pullmn bei einigen Sofitel- und Grand-Mercure-Hotels.

In Europa werden einige restaurierte Original-Pullman-Wagen aus britischer Produktion noch heute von Nostalgiezügen eingesetzt (NIOE Nostalgie-Istanbul-Orient-Express der TEAG Transeurop Eisenbahn AG, Venice-Simplon-Orient-Express/British Pullman von Orient-Express Hotels, Trains and Cruises, Pullman-Orient Express von Accor/Wagons-Lits).

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Public Domain