Markenlexikon
CHARLES PATHÉ, SOCIÉTÉ PATHÉ FRÈRES: Die Brüder Charles, Émile, Théophile und Jacques Pathé gründeten 1896 in Paris die Firma Société Pathé Frères, um Kinematographen und Phonographen zu verkaufen – beides Erfindungen von Thomas Alva Edison. Der gelernte Schlachter Charles Morand Pathé (1863 – 1957) hatte sein Geld zuvor mit öffentlichen Phonographen-Vorführungen verdient und 1895 einen eigenen Kinematographen entwickelt. Die Phonographen, Graphophone und Walzen wurden zunächst noch importiert, bald begannen die Brüder jedoch mit einer eigenen Produktion.
PATHÉ CINÉMA: Um auch eigene Filme drehen zu können, gründete Charles Pathé 1897 die Firma Pathé Cinéma, die kurz darauf in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde (Compagnie Générale de Cinématographes, Phonographs et Pellicules Pathé Frères). Im gleichen Jahr erwarb Pathé die Patentrechte der Brüder Auguste und Louis Lumière, die 1895 den Cinématographen entwickelt hatten. Die Projektoren und Kameras von Pathé gehörten zwischen 1905 und 1930 zur Standardausrüstung in europäischen und amerikanischen Studios. Nach der Jahrhundertwende errichtete Pathé Niederlassungen in London, Brüssel, New York, Moskau, Singapur, Rom, Madrid, Berlin, Wien und St. Petersburg. 1906 eröffnete Charles Pathé sein erstes Kino in Paris (Omnia-Pathé).
Ab 1907 stellte Pathé auch Rohfilme her und wurde damit zum ersten Konkurrenten der US-amerikanischen Eastman-Kodak Company, die bis dahin den Weltmarkt allein beherrscht hatte. Ab 1909 produzierte Pathé die Filmwochenschau Pathé-Journal, die später auch in Großbritannien, Australien und den USA in englischer Sprache ausgestrahlt wurde (1909 Pathe-Gazette GB, 1910 Australian Animated Gazette, 1911 Pathe Weekly USA). Bis zum Ende des 1. Weltkriegs war die Firma mit dem gallischen Hahn im Logo (Slogan: »Je chante haute et clair« = »Ich singe laut und klar«) neben Nordisk (Dänemark) die größte Filmgesellschaft Europas (Rohfilme, Kameras, Vorführ- und Abspielgeräte, Spielfilme). Außerdem besaß Pathé rund 200 Kinos in Frankreich und Belgien.
PATHÉ CINÉMA, PATHÉ FRÉRES: 1918 wurden die Film- und Musikaktivitäten des Konzerns getrennt: Pathé Cinéma (Filmproduktion, Kameras, Kinos) – diesen Bereich leitete Charles Pathé – und Pathé Fréres (Grammophone, Schallplatten) unter der Führung von Emile Pathé.
PATHÉ-MARCONI: Pathé Fréres wurde 1928 von der britischen Columbia Graphophone Co. Ltd. (eine ehemalige Tochtergesellschaft der amerikanischen Columbia Phonograph Company) übernommen, der seit 1926 auch die deutsche Carl Lindström AG (Odeon, Parlophon) – damals eine der weltgrößten Plattenfirmen – gehörte. 1931 schloss sich die Columbia Graphophone Co. Ltd. (Columbia, Odeon, Parlophone, Pathé) mit der The Gramophone Co. Ltd. aus London (Electrola, His Master's Voice, Marconi) zur Electric and Musical Industries Ltd. (EMI) zusammen. The Gramophone Co. Ltd. besaß seit 1929 Rechte an dem Markennamen Marconi, nachdem man die Radiogeräte-Produktion von der Marconi's Wireless Telegraph Company übernommen hatte. Der EMI-Konzern machte aus der 1936 gegründeten Société des Industries Musicales et Électriques Pathé-Marconi (später Pathé-Marconi EMI S.A.) seine französische Niederlassung, ähnlich wie man es in anderen Länder handhabte (z.B. EMI-Electrola in Deutschland, EMI-Odeon in Italien und Spanien, EMI-Bovema in den Niederlanden). Pathé-Marconi verwendete zeitweise auch eine Abwandlung des klassischen Pathé-Logos, außerdem die französische Variante des Labels His Master's Voice (La Voix De Son Maitre). Die Produktion der Radio- und Fernsehgeräte wurde 1958 an den französischen Elektrokonzern Thomson-Houston (später Thomson-Brandt) verkauft, der den Markennamen Pathé-Marconi zusammen mit dem His-Master's-Voice-Logo noch bis in die 1980er Jahre hinein unter Lizenz verwendete. 1996 wurde die Pathé-Marconi EMI S.A. in EMI Music France S.A. umbenannt. Damit verschwand der Name Pathé-Marconi aus der Musikindustrie.
PATHÉ EXCHANGE, RKO: 1921 verkaufte Pathé Cinéma die US-Tochter Pathé Exchange an eine Investorengruppe um Charles Merrill, die sie an Joseph Kennedy 1926 weiterreichte (ab 1930 gehörte Pathé Exchange zu RKO). Die Rohfilmproduktion erwarb 1927 Kodak France (die französische Eastman-Kodak-Tochtergesellschaft firmiert bis heute als Kodak-Pathé).
BERND NATHAN, ADRIEN RAMAUGE, SOCIÉTÉ NOUVELLE PATHÉ CINÉMA: Charles Pathé veräußerte seine letzten Anteile an Pathé Cinéma 1929 an den aus Rumänien stammenden jüdischen Filmproduzenten Bernard Natan (1886 – 1942) und zog sich daraufhin ins Privatleben nach Monaco zurück. Natan, der in Rumänien und ab 1921 in Frankreich der bekannteste Pornofilmproduzent der damaligen Zeit war, gehörte die im Pariser Stadtbezirk Montmartre ansässige Firma Rapid Film. Nach undurchsichtigen finanziellen Transaktionen ging Pathé-Natan 1936 in Konkurs. Natan wurde 1942 im KZ Auschwitz ermordet. 1943 erwarb Adrien Ramauge, ein Angestellter des Elektrokonzerns Thomson-Houston, die Reste des Pathé-Konzerns, der sich seit dem Bankrott in den Händen des französischen Finanzministeriums und einiger Banken befand. Das restrukturierte Unternehmen firmierte als Société Nouvelle Pathé Cinéma (ab 1979 Pathé Cinéma).
PATHÉ-GAUMONT: In der Nachkriegszeit beschäftigte sich Pathé vor allem mit dem Filmverleih und dem Betrieb von Kinos. Von 1970 bis 1983 betrieb das Jointventure Pathé-Gaumont GIE die Kinos beider Unternehmen. Daneben trat Pathé auch als Koproduzent von Kino- und TV-Filmen (ab 1960) auf. Zu den wichtigsten Spielfilmen, an deren Produktion Pathé bereiligt war, gehören u.a. »Kinder des Olymp« (1945), »Rififi« (1955), »Die Elenden« (1957), »Die Hexen von Salem« (1957), »Casino de Paris« (1958), »La Dolce Vita« (1959), Hiroshima Mon Amour (1959) und »Der Leopard« (1963). Die Kamera-Produktion gab Pathé 1968 auf.
PATHÉ COMMUNICATIONS: 1989 erwarb die Investmentgesellschaft MT Investissements, hinter der u.a. der französische Investor Max Theret sowie die beiden zwielichtigen Italiener Giancarlo Parretti und Florio Fiorini standen, die Mehrheit der Pathé-Anteile. Bis dahin befand sich Pathé im Besitz der Banque Rivaud, der Compagnie Financiere de Suez, des Wasserversorgungskonzerns Lyonnaise des Eaux und des belgischen Mischkonzerns Société Générale de Belgique. Parretti, ein früherer Kellner, Schiffskoch, Hotelbesitzer, Zeitungsgründer und Finanzier, der schon mehrfach wegen betrügerischen Bankrotts verurteilt worden war, übernahm im gleichen Jahr die US-Filmgesellschaft Cannon Group, die zuvor Pleite gemacht hatte. Cannon wurde daraufhin in Pathé Communications Corporation umbenannt. Paretti versuchte anschließend die Cannon-Kinokette (rund neunhundert Kinos in Europa und den USA) mit der von Pathé zusammenzuschließen. Die französische Regierung verhinderte das jedoch.
MGM-PATHÉ COMMUNICATIONS, PATHÉ S.A.: 1990 erwarb Pathé Communications 1990 das Hollywoodstudio Metro-Goldwyn-Mayer/United Artists. Das Geld dafür stellte die niederländische Tochtergesellschaft der staatlichen französischen Bank Crédit Lyonnais (CL) zur Verfügung. Der Schuldenberg der neuen MGM-Pathé Communications Company wuchs jedoch schnell ins Unermessliche und bald kamen auch noch Gerüchte über Geldwäsche und Mafia-Verbindungen auf; Parretti selbst wurde mehrmals verhaftet und vor Gericht gestellt. Schließlich zog die CL-Bank 1991 die Notbremse, schmiss Parretti raus und übernahm MGM-Pathé 1992 selbst. CL veräußerte Pathé, MGM/UA und die Cannon-Kinos an verschiedene Käufer. Pathé wurde noch 1992 an den französischen Mischkonzern Chargeurs verkauft, der das Unternehmen 1996 unter dem Namen Pathé S.A. an die Pariser Börse brachte. Chargeurs Réunis, 1872 in Le Havre gegründet, war eine frühere Reederei, die sich in den 1980er Jahren unter der Leitung von Jérôme Seydoux in viele andere Branchen eingekauft hatte (u.a. Beteiligungen an den TV-Sendern BSkyB und Canal Plus).
BOLLORÉ GROUP, VIVENDI, FORNIER S.A., JÉRÔME SEYDOUX: 1998 erwarb die Bolloré Group einen 20-prozentigen Anteil an Pathé, der schon wenige Monate später an den Wasserversorgungs- und Unterhaltungskonzern Vivendi (Universal Studios, Universal Music Group, Veolia Environnement) weitergereicht wurde. 2000 übernahm Vivendi auch die restlichen Anteile an Pathé, veräußerte die Pathé-Namensrechte, das Film- und Kinogeschäft sowie andere Beteiligungen, die Pathé in den 1990er Jahren erworben hatte (1996 SA Investissements Press/Libération, Renn Productions, 1997 Voyage Cable, 1998 AB Sport/Pathé Sport, 1999 Olympique Lyonnais) jedoch an die Familienholding Fornier S.A., die Jérôme Seydoux gehörte. Fornier wurde anschließend in Pathé umbenannt. Die BSkyB- und Canal-Plus-Beteiligungen behielt Vivendi. 2001 schlossen Pathé und Gaumont ihre 86 Kinos in Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz in dem Jointventure Les Cinémas Gaumont Pathé zusammen; Pathé war an dem neuen Unternehmen mit 66 Prozent beteiligt, Gaumont mit 34 Prozent. 2017 übernahm Pathé die Kinokette vollständig.
Nicolas Seydoux, der Bruder von Jérôme Seydoux Fornier de Clausonne, ist seit 1975 Hauptanteilseigner von Gaumont. Beide entstammen der Schlumberger-Familie. Ihre Eltern waren der Geophysiker René Seydoux und Geneviève Schlumberger, die Tochter von Marcel Schlumberger, dem Mitbegründer des ursprünglich französischen Schlumberger-Konzerns (Erdölexplorations- und Ölfeldservice), der seinen Sitz heute in den Niederlanden hat.
Pathé betreibt heute vor allem Kinos, koproduziert Kino- bzw. TV-Filme (u.a. 1997 »Lolita«, 2002 »Asterix und Obelix: Mission Kleopatra«, 2008 »Asterix bei den Olympischen Spielen«) und ist im Verleihgeschäft tätig (u.a. 1993 »Loaded Weapon 1«, 1995 »Showgirls«, 1997 »The Fifth Element«, 1999 »Asterix und Obelix gegen Caesar«, 2006 »Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders«).