Markenlexikon

Henschel

Ursprungsland: Deutschland

Georg Christian Carl Henschel (1759 – 1835), der das Gießerhandwerk bei seinem Vater erlernte, ging 1777 als Geselle nach Kassel, wo er in der Gießerei des fürstlichen Geschützgießers Johann Friedrich Anton Storck arbeitete. 1780 heiratete er Christine Wilhelmine Storck, die Tochter seines Arbeitgebers, und wurde gleichzeitig Teilhaber der Gießerei, die sich hauptsächlich mit dem Geschütz- und Glockenguss beschäftigte. Nachdem die Truppen Napoleons 1807 das Kurfürstentum Hessen besetzt hatten, goss Henschel Kanonenrohre für die Besatzer. Als er sich mit dem französischen Stadtkommandanten über die Preise für die Kanonen verstritt, wurde er 1810 vom Amt des fürstlichen Stückgießers entbunden. Daraufhin zog er in ein leerstehendens Gebäude, das an die Gießerei grenzte, und gründete dort zusammen mit seinem zweiten Sohn, dem Glockengießer und Bildhauer Johann Werner Henschel, die Gießerei Henschel & Sohn.

Die neue Firma goss zunächst ebenfalls Kanonen, konzentrierte sich dann aber unter der Leitung von Oscar Henschel (ein weiterer Sohn des Gründers) bald auf Dampfmaschinen (ab 1816) und Dampflokomotiven (ab 1848). Der Bedarf an Lokomotiven war damals, als ständige neue Eisenbahnstrecken gebaut wurden, enorm groß. 1860 lieferte Henschel die 50. Lokomotive aus. 1894, als Oscar Henschel starb, waren bei Henschel bereits über 4000 Exemplare gebaut worden. Henschel gehörte damals neben Borsig zu den größten deutschen Herstellern von Dampfloks. 1905 baute Henschel die erste elektrische Lokomotive, 1910 folgte eine Lokomotive mit Vergasermotor. Im gleichen Jahr stellte Henschel die zehntausendste Lokomotive fertig. Während der Weltwirtschaftskrise übernahm Henschel mehrere Lok-Hersteller oder deren Lok-Sparten (1928 Lok-Sparte der Maschinenfabrik R. Wolf AG Magdeburg-Buckau, 1930 Linke-Hofmann, 1931 Lok-Sparte von Hanomag). Eine geplante Fusion mit der Münchener Lokomotivfabrik J.A. Maffei AG scheiterte 1929 jedoch. Maffei schloss sich stattdessen 1931 mit Krauss & Comp. München zur Krauss-Maffei AG zusammen.

1925 baute sich Henschel & Sohn mit der Fertigung von Lastwagen und Omnibus-Fahrgestellen ein weiteres Stanbein auf. Zunächst basierten die 3- und 5-Tonner auf einer Lizenz des Schweizer Nutzfahrzeugherstellers FBW Franz Brozincevic & Cie., doch schon bald entwickelte die Firma eigene Fahrzeuge und Motoren. Während des 2. Weltkriegs produzierte Henschel auch Panzer (Panzerkampfwagen I-III, Panther, Tiger I, Tiger II) sowie Panzerabwehr- und Flugabwehrkanonen.

1933 stieg Henschel mit der Henschel Flugzeug-Werke AG (HFW) in den Flugzeubau ein. Die Produktionsanlagen befanden sich in Kassel, auf dem Gelände des späteren Flughafens Berlin-Schönefeld und auf dem Flugplatz Berlin-Johannisthal. Zunächst fertigte HFW Flugzeuge anderer Hersteller in Lizenz (Junkers W 34, Dornier Do 23). 1936 ging das erste eigene Modell, der einmotorige Doppeldecker He 123, in Produktion. Die He 123 wurde von der deutschen Luftwaffe als leichtes Sturz- und Erdkampfflugzeug eingesetzt. Im gleichen Jahr entstand die HFW-Tochtergesellschaft Henschel Flugmotorenbau GmbH (HFM), die im Lohwald bei Altenbauna angesiedelt war. Neben den eigenen Flugzeugen (Hs 123, Hs 126, Hs 129) fertigten die HFW-Werke auch weiterhin Modelle anderer Hersteller (Do 17Z, Ju 88), außerdem Gleitbomben und Flugabwehrraketen.

Als einer der führenden deutschen Rüstungsbetriebe waren die Henschel-Werke mehrfach Ziel allierter Bomberangriffe. Bei Kriegsende lagen die Anlagen zu großen Teilen in Schutt und Asche. Trotzdem begann das Unternehmen, das bis 1948 unter dem Namen Hessia firmierte, bereits 1946 mit dem Bau kleinerer Industrielokomotiven und Fahrgestellen für Oberleitungsbusse. Daneben reparierte man Militärlastwagen. 1948 wurde die reguläre Fertigung großer Lokomotiven wieder aufgenommen, 1950 golgten Lastwagen. Zur Betreung von Hubschraubern der neuen Bundeswehr und später auch der Polizei entstand 1956 in Kassel eine neue Henschel Flugzeugwerke AG. Mit der Lizenzproduktion des Hispano-Suiza-Schützenpanzers HS-30 stieg Henschel 1959 wieder in die Wehrtechnikbranche ein. Die Produktion von Omnibussen wurde 1963 aufgegeben.

1953 übernahm die Henschel & Sohn GmbH die insolvente Waggon & Maschinenbau GmbH (WUMAG) aus Hamburg. Ende der 1950er Jahre geriet das Unternehmen jedoch wegen Absatzschwierigkeiten im Nutzfahrzeug- und Lokomotivbereich (zu späte Umstellung von Dampf- auf Elektro- und Diesel-Lokomotiven) sowie Verzögerungen bei militärischen Aufträgen in eine finanzielle Schieflage, die 1957 zu einem Vergleich führten. Der damalige Besitzer Oscar R. Henschel gab die Geschäftsführung ab und 1958 wurde das nun als Henschel Werke GmbH firmierende Unternehmen an neue Gesellschafter verkauft. Einer von ihnen, der Industriemanger Fritz-Aurel Goergen (zuvor bei der Phoenix AG und der Oetker-Gruppe), wurde bis 1961 Mehrheitseigner und sanierte das Unternehmen erfolgreich. 1962 wandelte er die GmbH in eine Aktiengesellschaft um (Henschel Werke AG).

Im April 1964 wurde Goergen wegen angeblich betrügerischer Rüstungsgeschäfte auf einem Festbankett mit dem damaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard von der Polizei verhaftet. Im September 1964 kam er aus der Untersuchungshaft wieder frei und zog anschließend in die Schweiz um. Zur gleichen Zeit verkaufte er die Aktienanteile an der Henschel Werke AG mit enormen Gewinn an die Rheinische Stahlwerke AG (Rheinstahl). Die Ermittlungen und Prozesse gegen Goergen zogen sich noch bis 1974 ohne Ergebnis hin. Die Vorwürfe gegen den Manager bestätigten sich nicht.

1965 wurde die Henschel Werke AG in Rheinstaal-Henschel AG umfirmiert. 1969 schloss Rheinstahl seine beiden Nutzfahrzeugtöchter Rheinstahl-Hanomag und Rheinstahl-Henschel zur Hanomag-Henschel-Fahrzeugwerke GmbH zusammen. An diesem neuen Unternehmen war bereits der Daimler-Benz-Konzern beteiligt, der Hanomag-Henschel 1971 ganz übernahm und die Marke Hanomag-Henschel 1974 aufgab. Die Hanomag-Henschel-Fahrzeugwerke GmbH wurde 1978 aufgelöst. Das Nutzfahrzeugwerk in Kassel gehört heute der Daimler Truck AG. Rheinstahl-Henschel konzentrierte sich nun auf die Sparten Schienenfahrzeuge (Diesel- und Elektrolokomotiven) und Wehrtechnik (u.a. Spähpanzer Luchs, Schützenpanzer Marder). Die Henschel Flugzeugwerke AG wurden 1970 an die Vereinigte Flugtechnische Werke GmbH (VFW) verkauft, die 1981 in den Besitz der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB) überging.

1973 wurde die Rheinstahl AG von der August Thyssen Hütte AG übernommen und 1976 in Thyssen Industrie AG umbenannt. Die Bereiche Lokomotivbau und Wehrtechnik firmierten ab 1976 als Thyssen-Henschel. Die Werke in Kassel waren u.a. an der Entwicklung der Magnetschwebebahn Transrapid und des Hochgeschwindigkeitszuges ICE beteiligt. Ebenso wie Krupp in Essen und Krauss-Maffei in München-Allach fertigte Thyssen-Henschel in Kassel die Triebköpfe des ICE. 1977 benannte sich der Thyssen-Konzern in Thyssen AG um.

Die Schienenfahrzeugaktivitäten von Thyssen-Henschel wurden 1990 mit denen von ABB zur ABB-Henschel AG zusammengeschlossen. 1997 entstand daraus ABB Daimler Benz Transportation (Adtranz; wurde 2000 von Bombardier übernommen und gehört seit 2021 zu Alstom). Die Wehrtechnikaktivitäten von Thyssen-Henschel (gepanzerte Fahrzeuge) verkaufte Thyssen 1996 an die IWKA AG, die sie 1999 an die Rheinmetall AG weiterveräußerte.

Heute gibt es noch einige Unternehmen, die aus den Henschel-Werken hervorgegangen sind und noch den Namen Henschel tragen, u.a. die TS Henschel GmbH Kassel (Antriebstechnik), Danieli Henschel (Schrottpressen) und die Henschel Industrietechnik GmbH Kassel (Manipulatorsysteme).

Text: Toralf Czartowski

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